
EU-MDR
Die neue EU-Medizinprodukte-Verordnung 2020
Die Medizinprodukteverordnung mit der offiziellen Bezeichnung „MDR 2017 | 745“ stellt gewerbliche Labore, Praxislabore und Serienhersteller für Medizinprodukte vor bisher noch nie dagewesene regulatorische Herausforderungen. Inzwischen steht unmissverständlich fest: Die Medizinprodukteverordnung tritt am 26. Mai 2020 in vollem Umfang in Kraft, und zwar für alle Hersteller von Medizinprodukten, dazu gehören nicht nur gewerbliche Dentallabore, sondern auch Praxislabore. Die Antwort der Bunderegierung auf eine „kleine Anfrage“ der FDP Bundestagsfraktion im Juni 2019 spricht hierzu eine klare Sprache:„Ähnlich wie für die Hersteller werden mit der MDR auch die Anforderungen an Sonderanfertiger erhöht. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass Sonderanfertiger ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) gemäß der MDR aufbauen müssen. Besondere Herausforderungen für KMU, die Sonderanfertigungen herstellen, bestehen in diesem Zusammenhang in den Anforderungen der MDR in Bezug auf die klinische Bewertung (inklusive der klinischen Nachbeobachtung), des Risikomanagements sowie der proaktiven Überwachung nach dem Inverkehrbringen…“
Der Hintergrund
Ab 2008 wurde ein neuer Rechtsrahmen für Medizinprodukte in der Europäischen Kommission diskutiert – 2012 wurden die ersten Entwürfe für die neuen Rechtsrahmen veröffentlicht. Die Grenzen der bis dahin bestehenden Richtlinien (92/43 EWG und deren nationale Medizinproduktegesetze) offenbarten sich in erster Linie durch diverse Probleme mit Implantaten wie beispielsweise Metall-Metall Hüftprothesen. Mechanisch-korrosiver Abrieb in diesen Prothesen führte zu erhöhten Konzentrationen von Kobalt- und Chrom-Ionen im Gewebe. Der Hersteller DePuy hat betroffene Produkte 2010 zurückgerufen. Vorangetrieben wurde die Änderung des Rechtsrahmens in erster Linie jedoch durch die Offenlegung einer der größten bisher dagewesenen Medizinprodukteskandale mit etwa 400 000 betroffenen Personen in 65 Ländern – dem Brustimplantat „PIP-Skandal“.
Als Reaktion der Europäischen Kommission auf den PIP-Skandal wurde die 2008 angekündigte Revision des Rechtsrahmens für Medizinprodukte vorangetrieben. Die ersten Entwürfe für Verordnungen für Medizinprodukte und In Vitro Diagnostika wurden am 26. September 2012 von der Europäischen Kommission präsentiert, mit dem vorläufigen Ziel der Übernahme des Entwurfes als Gesetzestext bis Ende 2014. Bis zur endgültigen Verabschiedung der neuen Verordnung dauerte es jedoch bis April 2017.
Es handelt sich dabei um eine Verordnung, die den Schutz des Verbrauchers bzw. des Patienten in ihren Fokus stellt. Es werden europaweit alle medizinischen Wirtschaftsakteure und Gesundheitseinrichtungen miteinbezogen, die für den gesamten Lebenszyklus eines Medizinprodukts verantwortlich sind. Das heißt konkret: Jeder am Wertschöpfungsprozess eines Medizinproduktes Beteiligte, ist für die Vor- und die nachfolgende Stufe (mit)verantwortlich.
Anforderungen an Hersteller – Sonderanfertigungen
Die MDR unterscheidet nicht zwischen Herstellern von Serienprodukten einerseits und Sonderanfertigungen andererseits. Zunächst existieren nur „Hersteller“ (Artikel 10 MDR). Für Sonderanfertigungen gelten jedoch bestimmte Besonderheiten und Einschränkungen, gegenüber Serienprodukten bleibt jedoch die vereinfachte Konformitätsbewertung bestehen. Das Verfahren für Sonderanfertigungen wird in Anhang XIII MDR beschrieben. Somit sind vor allem Artikel 10 (Hersteller) und Anhang XIII (Sonderanfertiger) von zentraler Bedeutung.
Die Dokumentationspflichten
Die Dokumentationspflichten für Sonderanfertigungen ergeben sich aus AnhangXIII / Abschnitt 1 MDR. Es muss wie bisher eine Erklärung erstellt werden, die folgende Angaben enthält:
- Name und Anschrift des Herstellers sowie aller Fertigungsstätten;
- eine Erklärung, dass das Produkt ausschließlich für einen bestimmten Patienten oder Anwender bestimmt ist, der durch seinen Namen, ein Akronym oder einen numerischen Code identifiziert wird;
- Name des Verordnenden und gegebenenfalls Name der betreffenden medizinischen Einrichtung;
- die spezifischen Merkmale des Produkts, wie sie in der Verordnung angegeben sind;
- eine Erklärung, dass das betreffende Produkt den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I MDR entspricht, und gegebenenfalls ein Verweis auf die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen, die nicht vollständig eingehalten wurden, mit Angabe der Gründe – das bedeutet deutlich weitergehende Angaben als bisher;
- Die Erklärung muss für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren nach dem Inverkehrbringen des Produkts aufbewahrt werden.
Soweit nicht viel Neues. Neben der Erklärung muss der Hersteller von Sonderanfertigungen eine Dokumentation über die Sonderanfertigung erstellen und für die zuständigen Behörden bereithalten. In dieser Dokumentation müssen neben der Fertigungsstätte bzw. den Fertigungsstätten auch Angaben erfolgen, aus denen die Auslegung, die Herstellung und die vorgesehene Leistung des Produkts hervorgehen, sodass sich beurteilen lässt, ob es den Anforderungen der MDR entspricht.
Empfehlung:
- Führen Sie eine sorgfältige Dokumentation der Sonderanfertigung. Archivieren Sie Auftragszettel, Dokumente der Vorprodukte und Materialien usw. – einschließlich der Angaben aus der Abstimmung mit dem Zahnarzt und dem Patienten – sorgfältig.
- Erfassen Sie alle im Produkt verwendeten Materialien, Vorprodukte und Passteile, sodass diese für den jeweiligen Patientenfall nachvollziehbar sind.
- Führen Sie ein System zur Chargenrückverfolgung (z. B. über Lieferscheine, Chargen- und Losnummern).
- Nutzen Sie ggf. vorhandene Aufkleber für Passteile für Ihre interne Dokumentation.
- Bewahren Sie Lieferscheine mit Angaben zu Materialien, Chargen- und Losnummern auf.
Die Anforderungen an Hersteller – Artikel 10 / MDR
Die zukünftig gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen beinhalten konkret:
Qualitätsmanagementsystem | Risikomanagementsystem | Klinische Bewertung | Klinische Nachbeobachtung | Sicherheitsbericht
1. Qualitätsmanagementsystem
Konzept zur Einhaltung der Regulierungsvorschriften, was die Einhaltung der Konformitätsbewertungsverfahren und der Verfahren für das Management von Änderungen an den vom System erfassten Produkten mit einschließt | Verantwortlichkeit der Leitung | Ressourcenmanagement, einschließlich der Auswahl und Kontrolle von Zulieferern und Unterauftragnehmern | Risikomanagement gemäß Anhang I | klinische Bewertung | klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen | Produktrealisierung einschließlich Planung, Auslegung, Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung von Dienstleistungen | Implementierung und Management eines Systems zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen gemäß Artikel 83 und Prüfung und Dokumentation der Erfahrungen nach dem Inverkehrbringen laut Anhang XIII MDR; usw.
Die MDR schreibt keine spezielle Norm und auch keine Zertifizierungsverpflichtung vor. Jedes gewerbliche und Praxislabor ist jedoch verpflichtet ein dynamisches und vor allem „gelebtes“ QM einzuführen, aufrechtzuerhalten und ständig zu verbessern. (Siehe hierzu Artikel 10 / Abs. 9).
Empfehlung:
Sofern Sie bereits über ein (zertifiziertes) QM System verfügen, beachten Sie bitte, dass dieses nicht automatisch alle Anforderungen der MDR erfüllt. Überprüfen Sie Ihr QM System insbesondere auf die Anforderungen der MDR zur klinischen Bewertung und zum Risikomanagement.
2. Risikomanagementsystem (Anhang I | MDR):
Die MDR fordert ein Risikomanagementsystem als kontinuierlichen iterativen Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts, der eine regelmäßige systematische Aktualisierung erfordert. Folgende Aufgaben sind dabei zu erfüllen:
Einen Risikomanagement-Plan für jedes Produkt (Anm.: „Produktfamilie“) festlegen und dokumentieren | Risiken identifizieren, analysieren, bewerten, beseitigen und kontrollieren| die Auswirkungen der in der Fertigungsphase und durch das System zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen gewonnenen Informationen sind bezüglich folgender Aspekte zu bewerten:
- Gefährdungen und deren Häufigkeit,
- Abschätzung der verbundenen Risiken sowie das Gesamtrisiko,
- das Nutzen-Risiko-Verhältnis,
- die Risikoakzeptanz,
und gemäß den neuen Anforderungen anpassen.
Hinweis:
Hersteller müssen im Rahmen der MDR die Konformität aller Produktbestandteile nachweisen. Hersteller von Medizinprodukten haben künftig zu gewährleisten, dass ihre Produkte bei Inverkehrbringen den Anforderungen der MDR genügen. Falls sie das nicht können, besteht ein Verkehrsverbot.
3. Klinische Bewertung:
Auch Sonderanfertigungen müssen einer klinischen Bewertung unterzogen werden und sind Teil des QM-Systems. Der Umfang des klinischen Nachweises muss den Merkmalen des Produkts und seiner Zweckbestimmung angemessen sein.
Hierzu sind die folgenden Punkte zu berücksichtigen: Kritische Bewertung der einschlägigen derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Fachliteratur über Sicherheit, Leistung, Auslegungsmerkmale und Zweckbestimmung des Produkts, eine kritische Bewertung der Ergebnisse aller verfügbaren klinischen Prüfungen, eine Berücksichtigung der gegebenenfalls derzeit verfügbaren anderen Versorgungsoptionen für diesen Zweck.
4. Klinische Nachbeobachtung:
Für die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen muss ein Plan festgelegt werden. Darin müssen u.a. folgende Methoden und Verfahren für das Sammeln und Bewerten der Daten beschrieben werden:
Ermittlung zuvor unbekannter Nebenwirkungen (z.B. Veränderungen infolge Wechselwirkungen mit Medikamenten) | Bewertung der klinischen Daten zu gleichartigen oder ähnlichen Produkten | Einholung des Feedbacks von Anwendern | Durchsicht wissenschaftlicher Fachliteratur und anderer Quellen klinischer Daten.
Der Hersteller hat aus den Erfahrungen der klinischen Nachbeobachtung angemessene Vorkehrungen zu treffen, um erforderliche Korrekturen durchzuführen. In diesem Zusammenhang muss nach Artikel 87 Absatz 1 den zuständigen Behörden jedes schwerwiegende Vorkommnis oder jede Sicherheitskorrekturmaßnahme im Feld oder beides gemeldet werden, sobald er davon erfährt.
Die Ergebnisse aus der klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen sind in einem Bewertungsbericht über die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen zu dokumentieren. Es sind angemessene Vorkehrungen zu treffen, um erforderliche Korrekturen durchführen zu können.
5. Sicherheitsbericht:
Jeder Hersteller von Zahnersatz muss für jede Produktkategorie oder Produktgruppe einen regelmäßig aktualisierten Bericht über die Sicherheit („Sicherheitsbericht“) erstellen. Die Hersteller von Produkten der Klasse IIa (Zahnersatz ist ein Produkt der Klasse IIa) aktualisieren den Sicherheitsbericht bei Bedarf, mindestens jedoch alle zwei Jahre.
Medizinprodukte-Anpassungsgesetz-EU (Referentenentwurf)
Das Bundeskabinett hat am 6. November 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz – MPEUAnpG) beschlossen. Der Gesetzentwurf dient in erster Linie der technischen Anpassung des nationalen Medizinprodukterechts an die neuen EU-Vorgaben.
Das im Referentenentwurf vorliegende neue Gesetz hat hinsichtlich der Anforderungen an die Hersteller von Sonderanfertigungen keine Erleichterungen zum Inhalt. Dargelegt werden in diesem Gesetzentwurf die Verantwortlichkeiten der Medizinprodukteberater. Auch werden Strafrahmen, Höhe der Strafen und Bußgelder für Verstöße spezifiziert. So ist z.B. das Inverkehrbringen abgelaufener Materialien oder eine nicht erfolgte Meldung eines meldepflichtigen Vorkommnisses durch den Medizinprodukteberater in Zukunft mit bis zu 30.000 EUR Bußgeld bewertet.
Ein Bußgeld droht auch, wenn keine oder eine nicht vollständige Konformitätserklärung nach Anhang XIII (MDR) beigefügt wird. Eine Konformitätserklärung ist bereits und wird in Zukunft noch deutlicher zu einem Rechtsakt, der nicht zu unterschätzen ist. Das Labor muss darin bestätigen, dass es den Anhang I (MDR) erfüllt und somit ein Risikomanagement als kontinuierlichen iterativen Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts (Produktfamilie) mit regelmäßiger systematischer Aktualisierung in seinem Labor nicht nur eingeführt hat, sondern auch anwendet.